Gleich am nächsten Morgen war es dann endlich soweit. Frühmorgens machten sich die Kletterer auf den Weg vom Basislager zum Einstieg an der Nordwand. Stefan Glowacz und Philipp Hans, der bereits ein Jahr zuvor bei der Expedition dabei war, durften als erstes in die Wand einsteigen, während die restliche Mannschaft unten am Einstieg bei einer Gletschermoräne wartete. Der Plan war simpel: Aufgeteilt in zwei Teams sollte in Abständen von ein bis zwei Tagen an der Wand gearbeitet werden. Doch dieser Plan sollte sich nicht erfüllen. Nach etwa 50 Metern, als Stefan gerade zwei Standhaken bohrte und Seil darin fixierte, knackte es lautstark. „Auch die Jungs unten auf dem Gletscher hörten es und jeder ging davon aus, dass dieses Geräusch vom Gletschereis kam“, erklärt der LOWA-PRO-Team-Athlet die brenzlige Situation. Doch als es kurz darauf erneut knackte, war Stefan klar: Es war nicht der Gletscher! „Ich stehe völlig ungeschützt und fest fixiert am Standplatz. Kein Vorsprung befindet sich in meiner Nähe, unter den ich bei Steinschlag flüchten könnte. Es knackt ein drittes Mal, wesentlich lauter als zuvor. Panik steigt in mir auf. Ich weiß in diesem Moment, dass etwas Schreckliches jeden Augenblick passieren wird, es geht nur noch um die Frage in welcher Dimension: Ein paar Steine oder eine ganze Steinlawine?“, notiert der Extremkletterer in sein Tagebuch. Es sollte zum Schlimmsten kommen. Etwa 100 Meter über den beiden brach lautlos eine tischgroße Granitplatte aus dem Felsen und raste auf Stefan und Philipp, der 15 Meter unter Stefan in der Wand hing, zu. Jetzt konnten sie sich nur noch so fest wie möglich gegen die Wand drücken und beten. Sie hatten Glück! Etwa 50 Meter über ihnen zerbrach die Platte an einem Felsvorsprung: „Wie Geschosse zischen die Brocken links, rechts und hinter uns in die Tiefe. Dumpf schlägt ein Stein auf meinem rechten Oberschenkel ein, gefolgt von einem stechenden Schmerz. Dann der nächste Einschlag auf meinem rechten Unterarm, “ dokumentiert Glowacz den Steinschlag. „In diesem Augenblick spürte ich keine Angst oder Panik, ich war einfach nur vollkommen gefasst. Die Einschläge um mich herum wurden weniger und plötzlich herrschte nur noch Stille. Immer noch harrte ich in meiner Position aus und wartete auf die nächsten Brocken. Mir wurde durch den Schock übel, als ich mich langsam aufrichtete. Ich hatte Angst davor, nach Philipp zu schauen, aber wie durch ein Wunder hatte er nur einen ‚Streifschuss‘ am Oberschenkel abbekommen“, erklärt Stefan erleichtert. Unter Schmerzen und mit blutenden Wunden ging es nur noch darum, so schnell wie möglich von der Wand wegzukommen. Auf der Moräne nahmen die Wartenden Stefan und Philipp in Empfang und versorgten Stefans Wunden. Ein Teil kehrte ins Basislager zurück, während Philipp und Christian es nochmal an zwei anderen Stellen versuchten. Vergebens! Auch der Versuch am nächsten Tag blieb erfolglos – die Nordwand ist zu brüchig und dadurch zu unkalkulierbar.